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indexicals - Aktuelle Veranstaltungen - Transdisziplinarität in Progression - Symposion 2005 - Referenten - Abstract Th. Rothschild

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Literatur und Erkenntnis
Zur Kritik der Hochschulpolitik

Thomas Rothschild
Literaturwissenschaftler und Publizist
Universität Stuttgart, Deutschland

Kurzfassung:

Die an deutschsprachigen Hochschulen zu beobachtende Ablösung der Literaturwissenschaft durch eine unterschiedlich bestimmte Kulturwissenschaft hat ihre Ursachen, wie andere Gründungen von Lehrstühlen und Studiengängen auch, in Moden, in Legitimationsproblemen und nicht zuletzt im ausgeprägten Willen von Nachwuchswissenschaftlern, sich durch die Etablierung neuer Disziplinen eine Professur zu sichern. In diesem speziellen Fall kommt aber ein zusätzliches, wirkungsvolles Motiv hinzu: der Wunsch, jedenfalls aber die Bereitschaft, sich den Interessen der Wirtschaft gefügig zu machen. Was nicht unmittelbar in Produktion und also in Profit überführbar ist, soll nach und nach aus Forschung und Lehre entfernt werden. Dass das zum Wohle der Gesellschaft im Allgemeinen und der Studierenden im Besonderen sei, ist Ideologie im Marx’schen Sinne des „falschen Bewusstseins“. Den Entscheidungsträgern in der Wirtschaft und ihren Erfüllungsgehilfen in der Politik ist es, wie nie vorher in der Geschichte, gelungen, ihre Interessen im öffentlichen Bewusstsein als die allgemeinen Interessen zu verankern und mit ihnen jenen Bereich zu usurpieren, der nach einem Verfassungsgrundsatz frei zu sein hätte: den Bereich von Forschung und Lehre.

Die Literaturwissenschaft ist gegenüber einem nur auf wirtschaftlichen Nutzen gerichteten Denken widerständig, weil ihr Gegenstand, die Literatur, sich gerade durch seine Nutzlosigkeit definiert. ästhetische Produkte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in erster Linie auf sich selbst zurück verweisen. Sie erfüllen allenfalls in zweiter Linie zusätzliche Funktionen wie die der Erziehung, der Propaganda, der Belehrung, der psychotherapeutischen Hilfestellung. Zwar werden sie in einer Warengesellschaft selbst auch zu Waren, aber ihr ökonomischer Stellenwert ist innerhalb des Bruttosozialprodukts gering und interessiert den Literaturwissenschaftler nur marginal. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Literatur ist stets auch die Beschäftigung mit dem Utopischen und also mit Alternativen zum Status quo.

Die Bereitwilligkeit vieler Hochschulangehöriger, eine Disziplin zunächst aus den Universitäten, dann auch aus den Schulen und der Gesellschaft entfernen zu lassen und sich den Interessen der Wirtschaft und ihrer konservativen wie sozialdemokratischen Handlanger anzudienen, hängt mit den Privilegien zusammen, die sie sich bewahren wollen, obwohl sie längst obsolet sind. Nicht die Studenten, sondern die Ministerialbeamten und die Forschungsbeauftragten in der Industrie sind ihre Bezugspersonen. Sie verteidigen die permanente Vernachlässigung ihrer Residenzpflicht, also der Ansprechbarkeit durch die Studierenden, sie bilden sich in ihrer Lehre nicht weiter, forschen wenig oder gar nicht, beziehen also überhöhte Gehälter für Leistungen, die hinter jenen eines Volksschullehrers weit zurückbleiben, sie nehmen, mit Reisebeihilfen versehen, an Tagungen in fernen Kontinenten teil, wo sie die immer gleichen Vorträge halten. Sie verschleudern Steuergelder und schweigen zugleich zu den radikal verschlechterten Studienbedingungen und der ökonomischen Lage ihrer Studenten. Sie haben es längst billigend hingenommen, dass ein Studium für „sozial Schwache“ kaum mehr finanzierbar ist.

Die politische Verluderung der Hochschulintelligenz, ihre durch Intrigen und Korruption gefestigte Gemeinschaft des Mittelmaßes und die allmähliche Abschaffung der Literaturwissenschaft sind Symptome ein und derselben Entwicklung: der Durchsetzung des Neoliberalismus mit seinen unsozialen Prinzipien auf dem Gebiet der Wissenschaft. Ihr dienen die aktuellen „Reformen“, die in Wahrheit eine Rücknahme all dessen bedeuten, was an demokratischen Ansätzen in den Jahren nach 1968 durchgesetzt werden konnte. In österreich hat der Parteienprotektionismus, dem sich Berufungskommissionen in einer ungebrochenen Tradition seit Jahrzehnten ebenso fügen wie die zuständigen Ministerien und die Bundespräsidenten, die in letzter Instanz für Berufungen verantwortlich sind, ohnedies dafür gesorgt, dass sich der weltweite Aufschwung von 68 kaum bemerkbar machte.

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